Pandemiebewältigung im Akutspital –
ein Jahr mit SARS-CoV-2
Obwohl den Umgang mit kranken und infektiösen Patientinnen und Patienten gewohnt, stellte die Pandemielage das Spital Muri und seinen Krisenstab vor grosse Herausforderungen. Dr. med. Daniel Strub, CEO Spital Muri, über Krisenmanagement und Herausforderungen im Corona Jahr 2020.
Interview mit
Dr. med. Daniel Strub,
CEO Spital Muri
In der akutmedizinischen Versorgungskette bilden die Spitäler das Rückgrat der klinischen Versorgung. Die Massnahmen des Bundes zur Pandemiebekämpfung hatten das gemeinsame Ziel, eine Überlastung der Akutspitäler und damit einen Zusammenbruch des Gesundheitswesens zu verhindern. Am 16. März 2020 rief der Bund die Ausserordentliche Lage aus. Das SARS-Coronavirus-2 näherte sich der Schweizer Grenze.
Hatte der Krisenstab vom Spital Muri mögliche Katastrophen-Szenarien erst ein paar Monate zuvor intensiv geübt, entlarvte sich die Situation ab Frühling 2020 mehr als ernst für den Spitalbetrieb. Im Verlauf des Jahres gab es immer wieder Ereignisse, die sich auf den täglichen Betrieb auswirkten. Dafür mussten nicht nur das sogenannte Pandemielager, sondern auch Schutzmassnahmen angepasst und überdacht werden.
Die operative Spitalführung lag ab dem 16. März in den Händen des Krisenstabes, der sich seither täglich am Pandemiegeschehen orientierte und als Führungsorgan den Spitalbetrieb koordinierte. Allerdings, welche neuen Aufgaben brachte die Ausserordentliche Lage, beispielsweise den offiziellen Verzicht auf sonst übliche medizinische Eingriffe, mit sich?
In welche Richtungen erfolgte die Krisenkommunikation? Wie gross war die Hilfe seitens des Bundes oder wichtigen Partnern des Akutspitals? Wie war die Stimmung im Pandemiejahr 2020 allgemein? – Dr. med. Daniel Strub, CEO Spital Muri, im Interview.
Herr Dr. med. Strub, ein Akutspital empfängt doch Tag für Tag kranke und infektiöse Patienten. Inwieweit beeinträchtigt eine Pandemie den Spitalalltag?
Einzelne infektiöse Patienten zu behandeln, ist für uns Alltag. Ebenso waren für unsere Mitarbeitenden die Hygiene- und Isolationsmassnahmen im Zusammenhang mit dem SARS-CoV-2 bereits vor der Corona-Pandemie Teil der Berufsausbildung und somit Routine. Trotzdem stellt eine Pandemie auch für ein Spital eine grosse Herausforderung dar.
In den Medien konnte jeder von uns beobachten, wie Gesundheitssysteme aufgrund der hohen gleichzeitig zu bewältigenden Patientenzahlen versagen und zahlreiche Menschen in Spitalpflege aufgrund fehlenden Materials und zu wenigen IPS- und Beatmungsplätzen verstarben. Dass es innert wenigen Tagen auch im Spital Muri soweit kommen könnte, war für unsere Mitarbeitenden im Frühjahr 2020 eine sehr belastende Situation.
Wie hat sich das Spital Muri in den vergangenen Jahren auf eine Katastrophe vorbereitet?
Das letzte Katastrophenkonzept datiert ins Jahr 2008 und wurde für die «EURO 08» entwickelt. Anschliessend wurde das Konzept nicht mehr regelmässig aktualisiert. Auf eine Anpassung an die aktuellen Begebenheiten und Risiken wurde mangels personeller Ressourcen lange verzichtet. Übungen fanden keine statt.
Erst elf Jahre später, im Juli 2019 hat sich das geändert. Zu diesem Zeitpunkt hat ein ehemaliger Mitarbeiter des kantonalen Bevölkerungsschutzes ins Spital Muri gewechselt und damit begonnen, eine Stabstelle für Katastrophenvorsorge aufzubauen.
Dank seiner grossen Kompetenz und Erfahrung in diesem Bereich machte unser Spital in kurzer Zeit grosse Fortschritte und nahm bereits im November 2019 mit erstarktem Selbstvertrauen und neuen Strukturen für das Krisenmanagement an der nationalen Sicherheits-Verbundsübung SUV19 und der alle vier Jahre stattfindenden Gesamtnotfallübung GNU19 teil.
Die Teilnahme war ein Erfolg und ermöglichte es uns, die neu erarbeiteten Konzepte zu überprüfen und weiter zu verbessern.
Warum war Ihnen die Schaffung einer Stabstelle für Katastrophenvorsorge wichtig?
Ich habe in der Schweizer Armee eine Ausbildung zum Nachrichtenoffizier durchlaufen und war in den vergangenen 20 Jahren in verschiedenen Stäben der Schweizer Armee als Nachrichtenoffizier tätig.
Ich habe in dieser Funktion gelernt in Szenarien zu denken, Eventualplanungen auszuarbeiten, mit vorbehaltenen Entschlüssen zu planen und die Lage zu verfolgen. Der Nachrichtenoffizier ist jener Stabsmitarbeiter, der dem Kommandanten aufzeigt, wie sich die aktuelle Lage entwickeln kann, was die wahrscheinlichste Entwicklung und was für die eigene Auftragserfüllung die gefährlichste der möglichen Lageentwicklungen ist.
Vor diesem Hintergrund war es für mich klar, dass auch das von mir geführte Spital sich vorsorglich Gedanken zu möglichen Ereignissen machen muss, die geeignet sind, den Normalbetrieb nachhaltig zu stören oder gar zu verunmöglichen. Für diese Szenarien müssen Notfallpläne erarbeitet und die Alarmierung vorbereitet werden. Auch die Organisation der Führung in solchen ausserordentlichen Lagen muss im Voraus geklärt und idealerweise eingeübt sein.
Aus diesem Grund habe ich mich ab der Übernahme der CEO-Funktion für die Schaffung einer solchen Stabstelle eingesetzt.
Welche Spital- oder Lieferbereiche – zum Beispiel die Versorgungskette – waren ab März 2020 betroffen?
Im März 2020 hatten wir es mit einer unbekannten, oftmals tödlich endenden Krankheit zu tun, die von einem noch weitgehend unbekannten Erreger verursacht wurde und sich innert Wochen auf der ganzen Welt verbreitete. Die Lageentwicklung war nicht abschätzbar und die Dauer der Pandemie erst recht nicht. Das verursachte in der Bevölkerung und auch beim Spitalpersonal Angst und Sorge.
Grundsätzlich hatten wir bereits im Rahmen der bisherigen Katastrophenvorsorge ein Pandemielager eingerichtet. Gleichwohl wurde uns die Abhängigkeit vom Ausland bewusst, als es hiess, Lieferungen mit Schutzmaterial in die Schweiz würden am Deutschen Zoll blockiert. Dies führte dazu, dass wir im Spital mit Engpässen von Schutzmasken, Schutzkitteln und Desinfektionsmitteln konfrontiert wurden.
Anfänglich fehlte uns also Schutzmaterial und es war auch nicht klar, auf welchen Wegen das noch kaum erforschte Virus übertragen wird. Neben logistischen Herausforderungen verlangte auch die Umsetzung der sich rasch ändernden behördlichen Auflagen grosse Flexibilität und Führungsstärke von uns. Auch mussten wir täglich Formulare und Rapporte für kantonale, überregionale und nationale Instanzen ausfüllen, ohne dass die geforderten Daten durch uns automatisiert erhoben werden konnten.
Während der ganze Spitalbetrieb mit sämtlichen bereits geplanten Sprechstunden und Operationen innert knapp zwei Tagen auf «Null» heruntergefahren werden musste, stand uns auch nur ein Wochenende zu Verfügung, um eine COVID-Teststation aufzubauen.
Die Um- und Durchsetzung eines strikten Besuchsverbots war ebenso Neuland für unser Spital wie die Einführung von Kurzarbeit im April 2020 oder die Umsetzung der behördlichen Homeoffice-Empfehlung.
Welche Lehren zog das Spital Muri aus der ersten Welle?
Bisher, so muss ich sagen, ist das Spital Muri dank ausserordentlich leistungsfähigen und leistungsbereiten Mitarbeitenden gut durch die Pandemie gekommen.
In der ersten Welle haben wir im Zusammenhang mit der Kommunikation gegenüber der Bevölkerung grosse Unterstützung durch die Medien erfahren dürfen. Intern und auch gegenüber unseren Zuweisern, den institutionellen Kooperationspartnern und den Partnern im Bevölkerungsschutz wie beispielsweise dem Zivilschutz und der Polizei haben wir ein tägliches Nachrichtenbulletin publiziert, das grossen Anklang fand und sich intern und extern rasch als wichtige Nachrichtenquelle etablierte. Der enge und kontinuierliche gegenseitige Austausch ist in ausserordentlichen Lagen enorm wichtig.
Die wichtigsten Lehren für unser Spital liegen daher in den Bereichen Krisenvorbereitung, Führung in der Krise und Kommunikation.
Die Stabstelle für Katastrophenvorsorge hat sich bewährt. Es ist notwendig, dass man sich in der normalen Lage aktiv mit möglichen Krisenszenarien auseinandersetzt und vorsorgliche Massnahmen in die Wege leitet. Im Zusammenhang mit dem Szenario «Pandemie» wäre das beispielsweise ein ausreichendes Pandemielager mit Schutzmaterial. Solche Vorbereitungen brauchen Zeit, personelle Ressourcen und, wenn man ein grosses Lager neu anlegen muss, auch Geld.
Mit Blick auf die Führung sollte immer – auch unabhängig von grassierenden Epidemien – geregelt sein, wie ein Krisenstab zu organisieren und führen ist. Mitglieder des Krisenstabes müssen regelmässig in Stabsarbeit geschult und der Krisenstab als Ganzes trainiert werden. Diese Anforderungen sind hoch und verlangen nach personellen, materiellen und finanziellen Ressourcen, die auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten im (defizitären) Budget Platz finden müssen.
In der Krise ist Vertrauen besonders wichtig. Wenn die Lage und die mögliche Lageentwicklung unklar sind, braucht es eine präsente, vertraute Führung und klare Worte.
In der ersten Welle haben wir im Zusammenhang mit der Kommunikation gegenüber der Bevölkerung grosse Unterstützung durch die Medien erfahren dürfen. Intern und auch gegenüber unseren Zuweisern, den institutionellen Kooperationspartnern und den Partnern im Bevölkerungsschutz wie beispielsweise dem Zivilsschutz und der Polizei haben wir ein tägliches Nachrichtenbulletin publiziert, das grossen Anklang fand und sich intern und extern rasch als wichtige Nachrichtenquelle etablierte. Der enge und konzinuierliche gegenseitige Austausch in in ausserordentlichen Lagen enorm wichtig.
Die Leitung der Unternehmenskommunikation war Mitglied des Krisenstabes und hat gemeinsam mit anderen Schlüsselfunktionären des Krisenstabes nach jedem Rapport des Krisenstabes festgelegt, was intern in welcher Priorität, auf welchem Kanal und an welche Zielgruppe gerichtet kommuniziert werden soll. Dieses Vorgehen hat sich bewährt und wurde von den Mitarbeitenden geschätzt. In der Krise ist Kommunikation auf Augenhöhe besonders wichtig, um Vertrauen zu schaffen.
Wenn die Lage und die mögliche Lageentwicklung unklar sind, sind eine präsente, vertraute Führung und klare Worte besonders wichtig.
Abschliessend, hat die zweite Welle Ihre Mitarbeitenden mehr als die erste Welle beschäftigt – welche Fortschritte machte man im Spital Muri?
Bei Beginn der zweiten Welle war die durch das Coronavirus hervorgerufene Krankheit und deren Verlauf besser bekannt. Und damit auch ihre Risiken für das Behandlungsteam.
Seit dem Sommer 2020 verfügte das Spital über erprobte Konzepte, um viele Covid-Patienten gleichzeitig zu behandeln. Die Zusammenarbeit mit den anderen Intensivstationen im Kanton, aber auch mit dem Departement für Gesundheit und Soziales war bestens etabliert und die Partner im Bevölkerungsschutz kannten sich mit Namen und standen schon über Monate miteinander in Kontakt.
Wir bewegten uns also auf bekanntem Terrain – unerwartete Ereignisse und behördliche Anordnungen blieben weitgehend aus. Die Pandemie hatte den Krisencharakter ein Stück weit verloren.
Deshalb war es für unser Spital in der zweiten Welle nicht mehr nötig, erneut den Krisenstab als Führungsorgan einzusetzen. Die operative Führung blieb in der zweiten Welle bei der Spitalleitung und die COVID-Thematik wurde durch eine ad hoc gebildete Taskforce behandelt, die durch den Pflegedienstleiter geführt wurde. Die Vertrautheit mit der Thematik war bei allen Mitarbeitenden zu spüren.
Leider hatten wir in der zweiten Welle deutlich mehr Patientinnen und Patienten und auch Todesfälle als noch im März 2020. Trotzdem spürte man eine professionelle Gelassenheit beim Personal. Die Angst und Unsicherheit, welche die erste Welle dominiert hatten, waren weitgehend verschwunden.
Das Jahr 2020 und die Rolle des Krisenstabs
Auf einmal wurde man auch im Freiamt durch eine unbekannte, oftmals tödlich endende Krankheit konfrontiert. Die Lageentwicklung war nicht abschätzbar und die Dauer der Pandemie erst recht nicht. Das verursachte in der Bevölkerung und auch beim Spitalpersonal Angst und Sorge. Der neu geschaffene Krisenstab hat geholfen, erste Krisenphasen souverän zu überwinden.
Die Spitalleitung beauftragte den spitaleigenen Krisenstab schon im Februar 2020 damit, die Lageverfolgung zu intensivieren und mögliche Szenarien und geeignete Bewältigungsmassnahmen zu entwickeln. Ausserdem suchte der Krisenstab schon früh den Kontakt zu Partnern im Bevölkerungsschutz, um die Vorbereitungsarbeiten für die drohende Pandemie voranzutreiben und zu koordinieren.
Am 11. März deklarierte die WHO die Pandemie und am 13. März wies der Kanton Aargau das Spital Muri an, ab sofort SARS-CoV-2 Tests durchzuführen und seine IPS-Betten für die Aufnahme schwerkranker COVID-Patienten zu Verfügung zu halten. An diesem 13. März übertrug die Spitalleitung die operative Führung an den Krisenstab, der fortan täglich zusammentrat und die operative Führung des Spitals in der Krise bewältigte.
Bereits wenige Tage später, am 16. März, deklarierte der Bundesrat die ausserordentliche Lage gemäss Epidemiengesetz und ab dem 20. März waren sämtliche medizinisch nicht dringlichen Eingriffe und Therapien schweizweit untersagt.
Der Krisenstab bestand in dieser Phase aus 17 Personen aus den Bereichen der Pflege, des Arztdienstes, der Patientendisposition, der Notfallstation, der Personalabteilung, der Logistik, der Gastronomie, des Einkaufs, der Technik und der Unternehmenskommunikation. Weiter verfügte der Stab über einen Verantwortlichen für die kontinuierliche Lageverfolgung und einen Stabschef, der die Rapporte vorbereitete und leitete und anschliessend die Umsetzung der Entscheide und die zeitgerechte Bearbeitung allfälliger Pendenzen überwachte.
Geleitet wurde der Krisenstab in dieser Phase durch den CEO des Spitals, Dr. med. Daniel Strub.