Jahresbericht 2022

Fachkräftemangel

Der Fachkräftemangel in der Schweiz spitzt sich laufend zu, insbesondere im Gesundheitswesen. Wie das Spital Muri darauf reagiert, erklären Daniel Strub, CEO und Daniela Burri, Leiterin Human Resources, im Interview mit Sabrina Salm (Der Freiämter).

Interview mit
Dr. med. Daniel Strub, CEO
und Daniela Burri,
Leitung Human Resources

Auf die jüngsten Entwicklungen beim Fachkräftemangel im Gesundheitswesen schaut man besorgt. Es fehlen Ärzte und Personal in der Pflege. Auch im Spital Muri?

Daniela Burri: Ja, das ist bei uns auch der Fall. Es fehlt einerseits Personal in der Pflege, im Operationssaal oder auf der Intensivstation. Auch Radiologiefachpersonen fehlen. Andererseits ist es auch schwierig, Personal im ärztlichen Bereich zu finden, insbesondere Kaderärzte.

Wie sieht dies in Zahlen aus?

Burri: Wir beschäftigen rund 930 Mitarbeitende. Konkret sind über alle Abteilungen hinweg über 35 Stellen nicht besetzt. Mehr als die Hälfte im pflegerischen und medizinischen Bereich.

Daniel Strub: Die Konsequenzen von 35 unbesetzten Stellen werden dadurch ein Stück weit entschärft, dass wir vermehrt von Agenturen vermittelte temporäre Mitarbeitende beschäftigen. Das ist zwar gut, um die kurzfristig anfallende Arbeitslast aufzufangen, aber temporäre Mitarbeitende bleiben eben nur vorübergehend bei uns. Sie übernehmen kaum Zusatzaufgaben und die Identifikation mit dem Betrieb hält sich verständlicherweise in Grenzen.

Hört sich nicht sehr begeistert an.

Strub: Es ist ein schwieriges Thema. Zwar hat man die temporären Arbeitsverhältnisse schon vorher gekannt, doch haben diese in den letzten paar Jahren ein problematisches Ausmass erreicht.

Burri: Das Abwandern von Mitarbeitenden zu Temporär-Agenturen ist schädlich für den jeweiligen Berufsstand. Es ist sicher mit ein Grund für den Fachkräftemangel.

Wieso denn das?

Strub: Diese Agenturen handeln mit einem extrem raren «Gut», dem medizinischen Fachpersonal. Da die Nachfrage hoch und das Angebot klein ist, gelingt es den Agenturen problemlos, Verträge mit überhöhten Lohnforderungen und vielen Sonderwünschen auszuhandeln. Das Geschäft macht jedoch vor allem die Agentur und nicht der temporär vermittelte Arbeitnehmer. Die Anstellungsbedingungen von temporären Mitarbeitenden sind oft deutlich schlechter als bei einer mehrjährigen Festanstellung, auch wenn der Ende Monat ausbezahlte Lohn möglicherweise höher ausfällt als bei Festangestellten.

Burri: Es gibt im Alltag einige Nachteile für temporär Angestellte. Zwischen diesen Mitarbeitenden und dem Team, aber auch gegenüber dem Arbeitgeber besteht oft eine spürbare Unverbindlichkeit und es findet oftmals keine vollständige Integration im Team statt. Auch die Vorsorgepläne der Pensionskassen solcher Vermittlungsagenturen sind oftmals nicht sehr attraktiv.

Warum wird auf temporäre Mitarbeitende zurückgegriffen?

Strub: In Zeiten des Fachkräftemangels, in dem es darum geht, Betten offen zu halten und die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung zu gewährleisten, ist man als Spital ein Stück weit gezwungen, ungeachtet der Konditionen mit Temporäragenturen zusammenzuarbeiten. Wir sind heute in der Rolle eines Bittstellers. Wir sind als Unternehmen nicht mehr diejenigen, welche Arbeit anbieten, sondern jene, die darum bitten, dass jemand arbeiten kommt – zumindest in den erwähnten Fachbereichen.

Burri: Wir versuchen möglichst wenige temporäre Mitarbeitende zu beschäftigen und prüfen regelmässig, ob andere Optionen bestehen. Nicht selten sind beispielsweise unsere Teilzeitmitarbeitenden bereit, vorübergehend das Pensum zu erhöhen und übernehmen kurzfristig Dienste bei Krankheitsausfällen. Unser Personal trägt viel dazu bei, worüber wir sehr dankbar sind und das sehr schätzen.

Was sind weitere Gründe für den Fachkräftemangel im Gesundheitswesen?

Burri: Da gibt es viele Gründe. Die Bevölkerungsentwicklung ist sicher einer der wichtigsten. Der Mangel an Ausbildungsplätzen ebenfalls sowie die Diskussion um den Numerus Clausus. Auch der Spardruck im Gesundheitswesen spielt eine Rolle und der vermehrte Wunsch, nicht mehr zu 100% berufstätig zu sein.

Strub: Eine Rolle spielt sicher auch die abnehmende Wertschätzung der Bevölkerung gegenüber dem Gesundheitspersonal. In den vergangenen Wochen konnte man beispielsweise wieder vermehrt in der Zeitung lesen, dass Rettungssanitäter bei Einsätzen angegriffen, beschimpft, bespuckt oder gar mit Flaschen beworfen wurden. Auch auf den Notfallstationen gibt es deutlich mehr Patientinnen und Patienten als noch vor einigen Jahren, die enorm fordernd und wenig tolerant sind. Regelmässig haben Massnahmen- und Impfgegner ihren Frust und ihr Unverständnis für die damalige Situation an unserem Personal ausgelassen. Der Umgang mit Respektlosigkeit und fehlender Wertschätzung ist eine grosse psychische Belastung für unsere Mitarbeitenden, die sich rund um die Uhr aus innerer Überzeugung für unsere Patientinnen und Patienten einsetzen.

Spielte die Pandemie betreffend Fachkräftemangel daher eine wesentliche Rolle?

Strub: Wir waren in den Pandemiejahren in verschiedener Hinsicht gefordert. Wir hatten neben den durch den Fachkräftemangel bedingten unbesetzten Stellen zusätzlich viele Krankheitsausfälle innerhalb der Teams und Absenzen infolge Quarantäne. Das bedeutete für unsere Mitarbeitenden eine enorme Zusatzbelastung mit vielen Sonderschichten. Eine vorübergehende Zusatzbelastung ist stemmbar, da Mitarbeitende im Gesundheitswesen eine sehr hohe Einsatzbereitschaft aufweisen. Doch wenn eine belastende Situation sehr lange anhält, zerrt das an der Substanz. Es ist verständlich, dass einige Mitarbeitende ihren Job nach der Pandemie an den Nagel gehängt haben.

Burri: Seither gab es praktisch keine Erholung. Deshalb haben sich einige Mitarbeitende eine Auszeit genommen. Was verständlich ist und die sie auch verdient haben. Aber wir merken jetzt, dass sie fehlen.

Wie Sie erwähnt haben, sind Mangel an Ausbildungsplätzen sowie der Numerus Clausus weitere Gründe für den Mangel an Fachkräften. Stimmt das System nicht mehr?

Strub: Die Eintrittsschwelle in einen Pflege- oder Medizinberuf ist sehr hoch und die fachlichen Anforderungen sind stetig gestiegen. Das macht die verschiedenen Berufe, in welchen uns heute Fachkräfte fehlen, unattraktiv. Es werden zu wenige neue Fachkräfte ausgebildet, der Nachwuchs fehlt. Vielfach sind auch nicht alle Ausbildungsstellen besetzt. Das bedeutet, dass selbst wenn alle Rahmenbedingungen plötzlich besser sind, es einige Jahre dauert, bis zusätzliche Fachpersonen mit Berufserfahrung zur Verfügung stehen. Man muss bedenken, dass es für die spezialisierten Berufe im Gesundheitswesen acht bis zehn Jahre dauert, um die Ausbildung zu durchlaufen und einige Jahre Berufserfahrung zu sammeln.

Dann bietet man doch einfach mehr Ausbildungsplätze an.

Burri: Das ist nicht so einfach. Die Krux ist, man will zwar ausbilden, doch hat man das Personal dazu, also die Berufsbildner, teilweise gar nicht. Bei uns ist das zum Glück nicht der Fall.

Probleme gibt es zuhauf. Was sind die Lösungsansätze, um die Bedingungen zu verbessern?

Strub: Der Fachkräftemangel ist ein Problem mit einer grossen finanziellen Dimension. Es braucht im Gesundheitswesen deutlich höhere Tarife. Wie bereits erwähnt, sind die Anforderungen an das Personal immer gestiegen, doch der Lohn blieb gleich. Es ist ein grosser Widerspruch, wenn Politiker fordern, man muss die vom Fachkräftemangel betroffenen Gesundheitsberufe attraktiver machen, indem man attraktivere Anstellungsbedingungen bietet und gleichzeitig dem Wähler eine Kostensenkung im Gesundheitswesen versprechen. Mit dem Geld, welches uns die Krankenkassen für unsere medizinischen Leistungen zahlen, zahlen wir als Spital die Löhne unserer Mitarbeitenden. Mehr Geld als die Tarife hergeben, steht nicht zur Verfügung. Es ist weit herum anerkannt, dass die Tarife seit Jahren zu tief sind und trotzdem geschieht nichts. Das ist für mich unverständlich.

Eine Tarifanpassung würde der Prämienzahler enorm spüren.

Strub: Klar. Wenn man beispielsweise für die grösste Berufsgruppe des Gesundheitswesens, die Pflege, die Löhne spürbar anheben wollte, würden die Gesundheitskosten und damit die Krankenkassenprämien ebenso spürbar ansteigen. Es stellt sich die Frage, was das dem Volk versprochene, qualitativ hochstehende Gesundheitswesen kosten darf. Diese Kosten werden entweder vom Steuerzahler oder dann vom Prämienzahler getragen werden müssen.

Muss ein Umdenken in der Bevölkerung stattfinden?

Burri: Wir stellen fest, dass der Bevölkerung klar wird, dass es extreme Herausforderungen gibt. Wenn wir das Gesundheitswesen nicht stabilisieren können, laufen wir in noch grössere Probleme, die am Schluss jede und jeden von uns treffen können. Aus diesem Grund glaube ich, wird ein Umdenken stattfinden. Das löst zwar den Fachkräftemangel nicht gleich, aber die Wertschätzung und der Umgang mit dem Personal werden hoffentlich besser.

Bis diese Aufgabe gelöst ist, kann es noch Jahre dauern. Studien zufolge spitzt sich die Lage weiterhin zu. Was macht das Spital Muri, um den Fachkräftemangel kurzfristig abzufedern?

Strub: Die politischen und finanziellen Dimensionen können wir nicht ändern. Der Fachkräftemangel ist uns schon länger bewusst und wir sind täglich mit ihm konfrontiert. Mitarbeiterressourcen werden immer wichtiger. Darauf haben wir reagiert und haben seit März 2022 die Leitung Human Resources als reguläres Mitglied in die Spitalleitung gewählt. Das unterstreicht den hohen Stellenwert, den wir den Personalthemen beimessen. Wir versuchen alles, um ein möglichst attraktiver Arbeitgeber zu sein. Aber wir können nicht mehr Finanzen zur Verfügung stellen, als die Tarife hergeben.

Burri: Wir können anders als andere Branchen auch nicht einfach die Arbeitszeiten heruntersetzen, um attraktiver zu werden, da wir mit unserem Personal stets an 7 Tagen 24 Stunden abdecken müssen. Eine Reduktion der Arbeitszeit hätte damit den Effekt, dass uns noch mehr Mitarbeitende fehlen würden.

Und wie wird für das Wohl des Personals gesorgt?

Strub: Wir organisieren viele Personalanlässe und Aktionen, um unseren Mitarbeitenden für deren unermüdlichen Einsatz zu danken. Wertschätzung gegenüber unseren Mitarbeitenden ist unserem Haus wichtig. Die hohe Quote an langjährigen Mitarbeitenden im Spital Muri zeigt, dass wir diesbezüglich vieles richtigmachen.

Burri: Ich denke, wir bieten einen guten Mix an attraktiven Anstellungsbedingungen. Das Spital Muri kann sich zeigen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Psychohygiene. Als Arbeitgeber bemühen wir uns, dass sich die Mitarbeitenden wohlfühlen. Ein gutes Arbeitsklima ist das A und O.

Wie könnte man sonst die Berufe im Gesundheitswesen attraktiver machen?

Burri: Den jungen Leuten aufzeigen, welch sinnstiftende Berufe es sind. Auch sollte man vermehrt Praktikumsplätze anbieten und aufzeigen, was für den Job spricht.

Und was spricht dafür?

Strub: Es ist eine spannende Tätigkeit, sich gemeinsam mit anderen Gesundheitsberufen um die gesundheitlichen Probleme der Patientinnen und Patienten zu kümmern und deren optimale Versorgung zu gewährleisten. Als Spitaldirektor habe ich zudem die Möglichkeit, die Patientenbehandlungen mit verschiedenen Berufsgruppen dahingehend zu koordinieren und die notwendigen Ressourcen zur Verfügung zu stellen, damit die Patientin oder der Patient im Zentrum stehen und genau die Leistung in der Qualität bekommen, die sie brauchen.

Burri: Das interdisziplinäre Zusammenarbeiten finde ich faszinierend. Ein Spital ist wie ein Mikrokosmos mit allen möglichen Berufsgattungen. Man arbeitet Hand in Hand und alle haben das übergeordnete Ziel, die Patientin oder den Patienten gesundzupflegen. Auch die Diversität der Berufe spricht für das Gesundheitswesen und die attraktiven Entwicklungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten in viele verschiedene Fachrichtungen. Ich glaube auch, man reift für sich als Mensch. Und man muss sich nicht Sorgen machen, dass man arbeitslos wird.

Arbeiten im
Spital Muri